Generationengerechtigkeit:
Protest gegen Rentenerhöhungen

Ist der Generationenvertrag ein Auslaufmodell? Haben Rentner eine zu starke Lobby?

 

Der Aufstand der Jüngeren
Die SPD rudert zurück. Nachdem Sie vor Jahren die Rente mit 67 ausgerufen hat, verlangt Sie jetzt die Rente mit 63 für all diejenigen, die 45 Berufsjahre nachweisen können. Pikant wird die Sache, da auch diverse Arbeitslosenzeiten mit angerechnet werden sollen.
Die CDU wiederum hatte im Bundestagswahlkampf 2013 die Erhöhung der Mütterrente gefordert, um die bestehende Benachteiligung angerechneter Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder zu verringern.

 

Kippt der Generationenvertrag?
Viele jüngeren Leute fühlen sich durch die beiden Neuausrichtungen, die jährlich etwa zehn Milliarden Euro kosten werden, benachteiligt. Sie stellen den traditionellen Generationenvertrag in Frage und behaupten, anstatt die Familien zu stärken werden aus wahltaktischen Gründen zunehmend die Rentner hofiert.
Ist das tatsächlich so?

 

Das Kindergeld hat sich seit 1960 mehr als verzehnfacht!
Erst Mitte der 1950er Jahre wurde das Kindergeld überhaupt eingeführt. Für die beiden ersten Kinder bekam man nichts, für alle weiteren Kindern schließlich 20,- DM. Eine Familie mit drei Kindern erhielt also umgerechnet pro Kinder 6,67 DM, was auch damals sehr, sehr wenig war. Denn eine Tafel Schokolade kostete auch 1960 schon eine DM und eine einfache Waschmaschine etwa 700,- DM, ein kleiner Schwarzweißfernseher etwa 800,- DM.

 

Das Rentenniveau wurde dagegen in den letzten Jahrzehnten drastisch reduziert.
Ein Rentner erhielt damals etwa 70 % seines durchschnittlichen Bruttoverdienstes. Dieser Satz wurde im Laufe der Zeit immer weiter abgesenkt - auf bescheidene 45 %. Verfolgt man nun die Entwicklung der beiden entscheidenden Basisdaten (Kindergeld und Rentenniveau), dann wird klar, wie unhaltbar die missgünstigen Unterstellungen sind.

Es verhält sich genau umgekehrt: Die Situation der Rentner hat sich enorm verschlechtert, die der Familien epochal verbessert. Ein Großteil der Rentner erhält heute nur noch Bezüge in Höhe der Grundversorgung. Die würde er auch bekommen, wenn er nie in seinem Leben gearbeitet hätte (seine gesamten Beitragszahlungen waren so gesehen also sinnlos).

 

Zwang die Demografie zur Absenkung der Renten?
Die Rentenkürzungen werden üblicherweise begründet mit der veränderten Altersstruktur. Die Menschen werden immer älter und die Geburtenrate sinkt.

Mit Verlaub, diesen Trend gibt es aber bereits seit über 100 Jahren! Und bis in die 1980er Jahre hinein kam es trotzdem zu satten Rentenerhöhungen, weil eben auch die Produktivität sich dramatisch verbesserte. Vor 100 Jahren wurde noch fast jeder zweite Erwerbstätige benötigt, um die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen. Heute braucht man zur Deckung dieses Grundbedarfs höchstens 5 % der Werktätigen.

Es stimmt einfach nicht, dass es Rentnern zwangsläufig immer schlechter gehen muss! Auch sollte man sich über die Zunahme der Lebenserwartung nicht täuschen, die Vergleiche hinken. Denn die niedrigere Lebenserwartung vor 50 oder gar 100 Jahren war zum Teil die Folge der hohen Kindersterblichkeit.
Im Grunde weiß man noch gar nicht, wie alt die nach dem Kriege geborenen Menschen tatsächlich werden. Gut möglich, dass das allgemeine Wohlstandsleben (wenig Bewegung, häufiges Übergewicht, mehr Alkohol und Drogen) die allgemeine Lebenserwartung wieder absinken lässt.
Was wir heute wissen ist doch lediglich, dass die Generation der vor dem 2. Weltkrieg Geborenen verhältnismäßig alt werden kann. Da deren Lebensstil aber ein ganz anderer war, sind darauf fußende Prognosen mehr als unseriös.

 

"Die Alten hinterlassen den jüngeren Generationen nichts als Schulden!"
Auch dieser Anklagepunkt ist unzutreffend und ungerecht. Denn Deutschlands heutiger Zustand ist doch wohl deutlich besser als der nach dem 2. Weltkrieg.

Der deutsche Staat hat zwar über 2 Billionen Euro an Schulden angehäuft, aber die Infrastruktur (Straßen, Stromnetze, Kanalisation usw.) und auch das Humankapital (mit viel Aufwand ausgebildete hochqualifizierte Fachkräfte) stellen mindestens einen Gegenwert von 15 Billionen Euro dar.
Außerdem ist die veränderte Produktivität immer wieder ein Faktor, der übergangen wird. Um Handys, Digitalkameras, Waschmaschinen, Flugzeuge, TV-Geräte usw. auf das heutige Niveau zu bringen, mussten zigbillionen Euro an Forschungsgeldern aufgewendet werden. Die Menschheit kann stolz darauf sein, diese Unsummen nicht verfrühstückt, sondern immer wieder in neue Techniken investiert zu haben.

Wie können junge Menschen angesichts dieser phantastischen Vorbedingungen meinen, sie kommen im Vergleich zu früheren Generationen zu kurz und müssten im Alter unbotmäßig darben?

 

Rentenhöhe nach Kinderzahl?
Nicht wenige unzufriedene Aufwiegler fordern, bei der Altersrente künftig mehr die Erziehungsleistung der Eltern zu berücksichtigen. Denn schließlich seien es doch die Kinder, die später den Generationenvertrag erfüllen müssten.

Was im ersten Moment vielleicht einleuchtend klingen mag, führt meines Erachtens aber zu noch größeren Absurditäten. Denn ob überhaupt der Nachwuchs später etwas in die Rentenkasse einzahlt, ist im Einzelfall ungewiss.
Es gibt nicht wenige Familien, die schon in der dritten Generation fast ausschließlich von der Sozialhilfe oder kriminellen Machenschaften leben. Müssen die Eltern dieser Asozialen wirklich staatlich auch noch bei der Rente belohnt werden?
Außerdem zieht es viele junge Menschen nach ihrer überwiegend vom deutschen Staat finanzierten Ausbildung ins Ausland. Sie entziehen sich damit unserem Generationenvertrag.

Ergo: Erst wenn die Kinder selbst das Rentenalter erreicht haben, könnte bewertet werden, in welchem Ausmaß sie sich am Renten-Generationenvertrag beteiligt haben bzw. wie "nützlich" sie für die Gesellschaft waren. Dann ist es aber für eine Belohnung der Eltern viel zu spät.

 

Kinderlose Paare bestrafen oder nur diskriminieren?
Viele Paare hätten gerne Kinder, bekommen aber keine. Sie zahlen brav ihre hohen Rentenbeiträge und werden dennoch so manches Mal als Schmarotzer gesehen, denen man die spätere Rente missgönnt. Was aber ist falsch oder unmoralisch daran wenn jemand, der in eine Versicherung etwas einzahlt, im Erlebensfall auch davon profitiert?

 

Benachteiligung bei Wahlen?
Allen Ernstes wird sogar gefordert, das Votum kinderloser Erwachsener bei Landtags- und Bundestagswahlen geringer zu werten. Die Stimmen der Eltern mit Kindern sollen dagegen doppelt oder dreifach gezählt werden. Welches Demokratieverständnis verbirgt sich hinter solch kruden Ansinnen? Sollen eines Tages eingewanderte Großfamilien maßgeblich über das Schicksal Deutschlands entscheiden?

 

Versicherungspflicht für Selbständige
Bislang brauchen Selbständige nichts in die Rentenkasse einzahlen. Ihnen traut man zu, aus eigener Kraft für das Alter vorzusorgen bzw. bereits durch das Firmenvermögen ausreichend abgesichert zu sein.
In früheren Zeiten hat dieses Selbstversorgungs-System auch einigermaßen funktioniert. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Immer mehr Menschen werden in die Scheinselbständigkeit gedrängt oder müssen sich als unterbezahlte Freiberufler verdingen.

Ich befürworte daher die schon häufig geforderte Rentenversicherungspflicht für Selbständige. Jeder Selbständige sollte einen Mindestbetrag in die allgemeine Rentenkasse einzahlen.
Nun werden manche Betroffene einwenden, eine Pflichtversicherung sei unrealistisch, denn so viel Geld wirft die Selbständigkeit oft gar nicht ab.
Derartige Überlegungen halte ich für einen Trugschluss. Denn die Rentenversicherungspflicht wird den oft ruinösen Konkurrenzkampf um Aufträge deutlich entschärfen. Wenn jeder Selbständige seine Rentenbeiträge erwirtschaften muss, wird sich das Preisniveau entsprechend ändern.
Auch die Preisverderber müssen dann anders kalkulieren, so dass unterem Strich der Wettbewerb sogar gerechter wird und sogenante Scheinselbständigkeiten sich auch weniger lohnen.

 

Gleichbehandlung von Renten und Pensionen
Zu diesem Thema ist schon genug geschrieben worden. Deshalb nur kurz: Auch ich sehe keinen Grund, Beamte in Bezug auf Krankenversicherung und Altersbezüge anders zu stellen als Angestellte. Diese Ungleichheit führt in Der Bevölkerung immer wieder zu unnötigem Streit und Missgunst und zur Spaltung der Gesellschaft.
Würden erwerbstätige Beamte gleichsam wie Arbeitnehmer in ein Rentensystem einzahlen müssen (aus deren Pool dann die laufenden Altersbezüge bedient würden), würde sich auch der Selbstbetrug über die wahren Kosten der Beamten auflösen und die Landeshaushalte besser planbar sein.

 

Abschaffung der Riesterrente!
Als eine der größten Torheiten bezüglich der Altersrente halte ich die Einführung der Riesterrente. Aus vielerlei Gründen:

1. Stellt die Riesterrente den bewährten Generationenvertrag in Frage. Früher hieß es immer, auf die staatliche Altersrente sei Verlass, die könne man fest einplanen. Mit der privaten Zusatzrente hat man sich von diesem beruhigenden Selbstverständnis gelöst - die staatliche Altersrente wurde abgesenkt und abgewertet, um der privaten Zusatzrente ein stärkeres Gewicht zu geben.

2. Das Ansparen in private Zusatzrenten bedeutet letztlich, dass viel Geld dem normalen Konsumkreislauf entzogen wird und in großen Kapitalansammlungen landet (Rentenfonds), die die globale Spekulation weiter anheizen.

3. Ein nicht geringer Anteil der eingezahlten Gelder bei der Riesterrente geht für Verwaltungskosten und Provisionen drauf. Nutznießer der Riesterrente sind vor allem Versicherungen, Hedgefonds und Anlageberater, die dadurch ihre Gewinne und Provisionen ausweiten können.
Es erstaunt nicht, dass diese Lobby eine staatlich geförderte Privatrente als "zweite Säule des Rentensystems" immer wieder gefordert und befürwortet hat (und großzügig Parteispenden verteilte).

4. Die Zuschüsse zur Riesterrente kosten dem Staat viel Geld. Geld, das den staatlichen Rentenempfängern abgezogen wird.

5. Letztlich sind private Renten nicht wirklich sicher, weil alle Geldanlagen grundsätzlich spekulativ sind. Gut möglich also, dass die Werte dieser Privatrenten stark verfallen und die Betroffenen dann doch wieder auf eine staatliche Unterstützung angewiesen sind.

6. Gerade Senioren mit niedriger Altersrente, die sich die Beiträge zur Riesterrente mühsam Monat für Monat abgespart hatten, haben oft gar nichts von der Riesterrente, weil diese Zusatzeinnahmen von der Grundrente wieder abgezogen wird.

 

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© Manfred J. Müller aus Flensburg
. Erstveröffentlichung 2014.

 

 


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Anmerkung: Der Sinn einzelner Thesen erschließt sich oft erst im Zusammenhang mit anderen Artikeln des Autors. In einem einzelnen Aufsatz können nicht jedesmal alle Hintergründe und Grundsatzüberlegungen erneut eingeflochten werden.

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