Mutiert das Bundesverfassungsgericht zum obersten
Wächterrat?
Die freie Welt entrüstet sich mit Recht über die Zustände im Iran, wo übermächtige Religionswächter die Demokratie ersticken. Doch bevor wir mit den Fingern auf andere zeigen, sollten wir einmal überdenken, wie es um unsere eigene Demokratie in Deutschland bestellt ist. Was läuft hier denn wirklich noch demokratisch ab in dem Sinne, dass der Bürger oder das Volk eine echte Teilhabe am politischen Geschehen hat?
Nun gut - die erwachsenen Bundesbürger dürfen an den periodisch stattfindenden Wahlritualen teilhaben. Aber was ist damit gewonnen? Über wesentliche Reformen oder Richtungen kann dort nicht abgestimmt werden, weil die etablierten Parteien sich nur marginal unterscheiden. Echte Alternativen (zum Beispiel Abkehr vom globalem Lohndumping durch angemessene Zollgrenzen) stehen gar nicht zur Verfügung.
Zudem sind die umfangreichen Wahlprogramme der Parteien für den Laien undurchschaubar und somit kaum zu bewerten (also wertlos). Selbst die wenigen Experten, die die kompletten Parteiprogramme fleißig durchgeackert und verstanden haben, sind mit der Beurteilung der Parteiziele überfordert. Weil dort Widersprüchlichkeiten aufeinanderprallen, weil sie utopisches Wunschdenken beinhalten und es keinerlei Umsetzungsgarantie gibt. Vor der Wahl ist halt immer noch vieles anders als nach der Wahl.
Das
Bundesverfassungsgericht hat das letzte Wort
Von
all diesen Schwächen einmal abgesehen gewinnt ein
zusätzliches Ärgernis an Bedeutung: Das
Bundesverfassungsgericht hebelt so manche Entscheidungen des
Bundestages einfach wieder aus.
Jahre hatte es gebraucht, bis endlich die unpopuläre Kürzung der Pendlerpauschale in Gesetze geformt werden konnte. Doch dann kommt das Bundesverfassungsgericht daher und macht alles wieder rückgängig. Sie beruft sich dabei auf die Vorgaben der Verfassung, die vor über 60 Jahren von fehlbaren Menschen unter völlig anderen Voraussetzungen ausgeheckt wurden.
Ich halte zwar die Grundprinzipien unserer Verfassung für richtig, sehe dabei aber leider auch im großen Ganzen manche unerfüllbaren Widersprüche. Eine Verfassung, die den Staat letztlich ruiniert, weil sie ihren Bürgern unfinanzierbare Rechte und Wohltaten zubilligt, scheint eben doch nicht das Maß aller Dinge zu sein.
Manche werden einwenden, die Regierungen hätten doch selbst Schuld, wenn sie Gesetze nicht wasserdicht (verfassungsgemäß) abfassen. Aber bei aller Liebe: Was sind das für komplexe Regeln, wenn Dutzende der klügsten Staatsjuristen nicht in der Lage sind, diese Hürde zu nehmen? Da scheint dann wohl doch eher etwas mit den Vorgaben (der Verfassung) nicht zu stimmen (Widersprüchlichkeit gepaart mit nebulösen Formulierungen).
Wie schwierig die Anwendung unserer Verfassung ist, belegt auch die Tatsache, dass die acht Verfassungsrichter häufig kein einstimmiges Urteil fällen. Selbst in der obersten Spitze also scheint es noch um Auslegungen, Ermessensspielräume und Parteiinteressen zu gehen.
Das
Existenzminimum für Kinder
Derzeit
beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht u. a. mit den
einklagbaren Größen des Existenzminimums für Kinder
und Jugendliche (Hartz IV). Sollten die Karlsruher Richter zu der
Auffassung gelangen, dass die gezahlten Sätze (derzeit je nach
Alter 60 oder 80 % der Erwachsenenbezüge) zu niedrig angesetzt
sind, muss der Staat die Bezüge anheben - ganz gleich, ob er
das Geld dafür hat oder nicht.
Bei diesem Streit wird wieder einmal Entscheidendes verdrängt: Erwachsene bilden in einer Familie nun einmal das Fundament - die Haushaltsführung. Wenn neue Haushaltsgeräte angeschafft werden müssen, der Fernseher streikt oder eine Tageszeitung abonniert wird, erfolgt das vom Geld der Erwachsenen - Kinder brauchen diese Grundausstattung nicht mitfinanzieren. Deshalb halte ich auch die ganze Auseinandersetzung für müßig - man kann schwerlich einen konkreten Prozentsatz vorgeben und festschreiben, was den Kindern im Vergleich zu den Erwachsenen "zusteht".
Darf
es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes sein, dass Anspruchsdenken
an den Staat immer weiter hochzuschaukeln?
Meine Generation ist (trotz Grundgesetz) in Bescheidenheit
aufgewachsen, es gab keinerlei Kindergeld und trotzdem konnten in
einem normalen Alleinverdienerhaushalt mit Anstand und
Würde mehrere Kinder großgezogen werden (obwohl in den
1950er Jahren die Reallöhne weit niedriger waren als heute). Wie
viel Luxus braucht der junge Mensch heute und ist es tatsächlich
Sache des Staates bzw. des Bundesverfassungsgerichts, diese
Ansprüche zu erfüllen?
Ein
Rattenschwanz von Folgeerscheinungen
Sollten
die Hartz-IV-Beträge für Kinder erhöht werden
müssen, sind die weiteren Auswirkungen auf unseren Sozialstaat
unabsehbar. Auf jeden Fall würde durch diese Maßnahme
unser Land für geringqualifizierte Immigranten mit vielen
Kindern noch attraktiver. Gleichzeitig würde es sich für
viele
Gering-
und Durchschnittsverdiener noch weniger lohnen, überhaupt zu
arbeiten.
Der
Staat gerät dabei in zunehmende Finanznöte, wobei er aber
durch das Grundgesetz und die internationale Steuerkonkurrenz auch
gehindert ist, die Abgabenquote der Besserverdiener und Unternehmen
weiter hochzuschrauben.
Dem Staat sind, so oder so, die Hände gebunden, er steckt in
einer Zwangsjacke. Weil er sich aus den Fängen der
widersprüchlichen Verfassung nicht mehr selbst befreien
kann.
Selbstentmachtung
des Parlaments
Anstatt
das "asoziale" Anspruchsdenken in der Bevölkerung weiter zu
schüren, sollte sich das Bundesverfassungsgericht vielleicht
mehr um die seit Jahrzehnten anhaltende Selbstentmachtung des
Bundestages sorgen.
Ständig werden staatliche Kompetenzen an die demokratiefeindliche EU abgegeben. Sogar die eigene (höchst angesehene) Währung wurde dem Gemeinschaftsgedanken geopfert und damit die deutsche Wirtschaftspolitik ihres wichtigsten Regulierungsinstruments beraubt. War das wirklich alles rechtens und verfassungskonform?
In
ihrer Bedeutung sind die ständigen Machtabtretungen an
Brüssel fast mit dem Hitlerschen Ermächtigungsgesetz von
1933 gleichzusetzen, wenngleich ich natürlich keineswegs die
EU-Strategen mit Hitler irgendwie vergleichen will.
Aber das Ermächtigungsgesetz führte damals zur Entmachtung
des Parlaments und die derzeitige schleichende Zersetzung des
Bundestages ist im Resultat kaum weniger dramatisch. Am Ende kann
auch die Demontage der nationalen Parlamente Europa ins Chaos
stürzen.
Ist
das Bundesverfassungsgericht eine Gefahr für unsere
Demokratie?
Die
Mängel unseres demokratischen Systems habe ich bereits in der
Einleitung beschrieben. Wenn nun auch noch das
Bundesverfassungsgericht als eine Art Wächterrat betrachtet und
akzeptiert wird, bleibt von unser Demokratie kaum etwas
übrig.
Was
ist das für ein Grundgesetz, das die Legislative zunehmend
lähmt, den Staat in die Verschuldung treibt und anscheinend
selbst kaum mehr reformierbar ist?
Das Grundgesetz wird hochstilisiert zum Stein der Weisen und niemand will oder kann daran rütteln. Die Frage drängt sich auf, ob das sozial überfrachtete Grundgesetz überhaupt in einem globalen Dumpingwettbewerb (der durch den Wegfall der Zölle entstanden ist) funktionieren kann.
Vielleicht sollte einmal offen darüber debattiert werden, warum unser "Stein der Weisen" seinem Staat weitergehende Verpflichtungen auferlegt, als es in anderen zivilisierten Kulturen üblich ist. Sind die anderen Staaten zu dumm, fehlten ihnen die genialen "unfehlbaren" Verfasser unseres Grundgesetzes (die ja bekanntlich ihre Paragraphen unter dem Eindruck der gerade beendeten Nazidiktatur diktiert haben)?
Das Bundesverfassungsgericht schürt das Anspruchsdenken - und unsere Regierung ist an die Weisung seines achtköpfigen Gremiums gebunden. Dieser Umstand hat natürlich schon im Vorfeld immense Auswirkungen auf die Meinungsbildung unserer Parlamentarier und anstehende Gesetze. Viele notwendige Initiativen werden gar nicht weiter verfolgt in der Annahme, das BVG würde das Gesetz eh wieder kippen (und wenn nicht das BVG, dann eben der Europäische Gerichtshof).
Berufung
auf den Rechtsstaat
Deutschland
ist ein Rechtsstaat - und das ist auch gut so. Aber wie weit muss der
ausgedehnt werden oder darf es auch dort irgendwelche Grenzen
geben? Ist
es wirklich erforderlich, jedem Bürger das Recht
einzuräumen, gegen Gesetze zu klagen, die zuvor nach zähem
Ringen alle rechtsstaatlichen Hürden genommen haben?
Ist der Staat verpflichtet, sich selbst zu demontieren, wobei er in vielen Fällen auch noch für die Kosten seiner eigenen Entmachtung aufkommen muss (Prozesskostenhilfe). Warum gelingt es anderen Rechtsstaaten, sich einer solchen Selbstzerfleischung zu entziehen? Ist der deutsche Rechtsstaat womöglich längst zu einem bürokratischen Rechtsmittelstaat mutiert, der das gesunde Rechtsempfinden der Bürger immer stärker strapaziert?
Wie
läuft es im Falle der Hartz-IV-Kinderregelsätze
weiter?
Können
nach einer Anhebung anschließend Erwachsene klagen, weil ihr
Mehraufwand im Vergleich zu den Kindern nicht ausreichend
gewürdigt wird? Können Erwerbstätige klagen, weil sie
sich im Vergleich zu den Erwerbslosen benachteiligt fühlen (also
mehr Kindergeld verlangen)?
Wie
will man diese absurde Klagespirale aufhalten, wenn immer wieder
mächtige Lobbyverbände dahinterstehen und ausgefuchste
Juristen neue Argumente präsentieren?
Die Verwendung und Umverteilung der Steuergelder sollte meines Erachtens vornehmste Aufgabe der Regierungen bleiben - das Bundesverfassungsgericht darf keine Größen vorgeben, die den Staat letztlich in die Überschuldung oder in den Ruin treiben.
Kann
unser Grundgesetz willkürlich ausgelegt werden?
1936
hat Hitler das Kindergeld eingeführt.
In der Bundesrepublik wurde das Kindergeld erst 1954 wieder
eingeführt (für die beiden erstgeborenen Kinder gab es gar
nichts, ab dem 3. Kind ganze 25,- DM).
Ab 1961 gab es auch für das 2. Kind 25,- DM. In den 1970er
Jahren wurden die Sätze angehoben und gestaffelt (für das
4. Kind bekamen die Eltern etwa dreimal mehr als für das erste
Kind. Ab 1991 gab es für das erste Kind 50,- DM (25,56 Euro), ab
1995 dann 70,- DM.
Ich frage mich, wieso damals das gleiche Grundgesetz ganz anders interpretiert wurde. Galt bis weit in die 1990er Jahre hinein kein Existenzminimum, keine "unantastbare Menschenwürde"? Wird wirklich die "Menschenwürde" verletzt, wenn Kinder und Jugendliche heute nicht den fünffachen Lebensstandard haben wie in der Wirtschaftswunderära der 1960er Jahre? Muss ein Staat diesen Luxus garantieren, selbst wenn er gar kein Geld dafür hat? Muss das Kindergeld Jahr für Jahr angehoben werden, während gleichzeitig die Renten sinken?
Karriere
mittels Bundesverfassungsgericht?
Damit
ich nicht missverstanden werde: Meine Kritik richtet sich nicht gegen
die Bundesrichter (die erfüllen schließlich nur ihre
Pflichten), sondern gegen die Institution des
Bundesverfassungsgerichts - vor allem bemängele ich
die
einseitige
Fixierung auf das Grundgesetz
bei gleichzeitiger Ignoranz staatlicher Interessen und
Möglichkeiten.
Es scheint mittlerweile so richtig in Mode gekommen zu sein, gegen den Staat zu prozessieren. Längst hat sich auch herumgesprochen, dass Kläger mit einer guten Publicity rechnen und berühmt werden können, wenn sie populäre Themen aufgreifen. Manch einer scheint das Bundesverfassungsgericht gar als Sprungbrett für die eigene Karriere nutzen zu wollen. Wem es gelingt, unliebsame Gesetze zu kippen, der gilt als wackerer Held, kommt bundesweit in die Schlagzeilen, wird bejubelt. Aber was bringt zum Beispiel die aktuelle Klage gegen den Solidaritätszuschlag?
Und
über allem schwebt der Europäische
Gerichtshof
Wer
nun meint, mit dem Bundesverfassungsgericht wäre der
Hürdenlauf der Gesetze beendet, sieht sich getäuscht - denn
über allem wacht und thront noch einmal der Europäische
Gerichtshof.
Mehr
dazu...
Ist das Bundesverfassungsgericht noch zu retten?
Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts
Auch
bei diesem Aufsatz über des Bundesverfassungsgericht handelt es
sich um ein heikles Thema, über das sich trefflich streiten
lässt. Durchaus möglich, dass ich hierbei etwas falsch
einschätze (ich bin kein Jurist).
Sollten Sie also anderer Meinung sein oder eine Inkorrektheit in
meinem Text vorfinden, wäre ich um eine Mitteilung dankbar.
Selbstverständlich sind auch positive Rückmeldungen gern
gesehen. Meine Email: m.mueller@iworld.de
Hintergrund: Der Rechtsstaat verkommt zur Lachnummer
Eine
herzliche Bitte: Sollte Ihnen dieser Artikel
(https://www.tabuthemen.com/bundesverfassungsgericht.html) gefallen
haben, empfehlen Sie ihn bitte weiter. Denn nur die allgemeine
Aufklärung der Bevölkerung ebnet den Weg für
notwendige Veränderungen.
Es dankt Ihnen Manfred J. Müller
Hintergrund
& Analyse (Folge
14)
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sämtlicher Texte: Manfred Julius Müller (unabhängiger,
parteiloser Wirtschaftsanalyst und Zukunftsforscher).
Die
wahren Ursachen des Fachkräftemangels. Problemlösungen
Fridays
for Future? Ist der Klimawandel Folge der
Globalisierung?
Recherche:
Die Globalisierung vergiftet den Kapitalismus!
Deutschland
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Deglobalisierung
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Der
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Die
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Weltkrieg
Protektionismus
- das verlogenste Kapitel der Welt!
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Impressum
© Dieser Text ist die Zusammenfassung einer Studie des
unabhängigen, parteilosen Wirtschaftsanalysten und Publizisten
Manfred J. Müller aus Flensburg.
Erstveröffentlichung 2009. Manfred
J. Müller profilierte sich als Autor verschiedener Bücher
zu den Themenkomplexen Globalisierung, Kapitalismus, Zollfreihandel,
Politik und Medien.
Es
wäre schlimm, wenn sich in unserer Scheindemokratie
vor allem die Lobbyverbände, Leitmedien, Phantasten, gewieften
Rhetoriker und lauten Fanatiker durchsetzen. Und die Vernunft dabei
zusehends auf der Strecke bleibt.